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The Buckinghams: Time & Charges (1967)

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The Buckinghams werden je nach Autor entweder als „Middle of the Road“ (MOR) oder Sunshine-Pop verortet. Und wenn man vielleicht nur Ihren Nummer 1 Hit „Kind of a drag“ (When your baby don’t love you) oder sogar die schon deutlich weniger bekannten Nummern „Hey Baby“ (they’re playing our song) oder  „Susan“ kennt, dann wird man das in Anbetracht der Nähe zum Sound von Bands wie den Grassroots  auch unterschreiben. Wenn man die etwas längere (ca 2:50) Version von „Susan“ hört, fällt einem vielleicht der kurze, psychedelische Mittelteil (aus Charles Ives‘ „Central park in the Dark“) auf, eine Idee des Produzenten James William Guercio, mit der die Band nicht einverstanden war und sich im folgenden dann von Guercio trennte.

Da Guercio anschließend als Produzent und Arrangeur für Bands wie „Chicago“ und „Blood, Sweat & Tears“ megaerfolgreich wurde, während die vierte und vorerst letzte LP der Buckingshams, prophetisch „In one ear and gone tomorrow“ benannt, sowohl künstlerisch wie auch kommerziell enttäuschte, darf diese Entscheidung im Nachhinein kritisch gesehen werden.

Die beiden von Guercio produzierten und arrangierten Alben „Time & Charges“ und „Portraits“ sind insbesondere im Vergleich zu seinen folgenden Produktionen heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Nun besitze ich beide Platten zwar schon seit langer Zeit auf einer CD (Acadia ACA 8019, es gab auch ein Sundazed-Pressung mit den beiden Alben), aber CDs höre ich zugegeben überwiegend nebenbei und darum sind mir eigentlich immer nur die eingängigeren Popnummern und Hits „Susan“, „Don’t you care“, „Hey baby“ sowie  das großartige „Pitied be the Dragon hunter“ im Gedächtnis geblieben. Seit neuestem bin ich aber im Besitz einer sehr guten Nachpressung der „Time & Charges“-LP (Columbia CS 9469) und das ist natürlich eine Gelegenheit, die Scheibe nach langer Zeit überhaupt wieder zu hören und das dann wie es sich für Vinyl gehört auch mal in Ruhe.

Und verdammt; auch wenn Ritchie Unterberger andere Meinung ist, „Time & Charges“ ist ein großartiges Album! Es ist eigentlich mehr ein Guercio- als ein Buckinghams-Album, denn laut CD hat Guercio sechs von zehn Titeln (mit)geschrieben, dazu kommen zwei Cover-Versionen und zwei Titel der befreundete Songwriter Gary Beisbier und John Holvay, die für den größten Teil der Hits der Band verantwortlich waren und später mit einigen Bandmitgliedern ihre frühere Band „The Mob“ reaktivierten.  Außerdem war Guercio für die das Album beherrschende und prägenden Bläserarrangements zuständig, während die Band eigentlich nur ihre Köpfe für das Albumcover präsentieren und instrumental weit weniger präsent ist als die Bläser. Namentlich sind die Mitglieder auf der LP an keiner Stelle erwähnt.

Und eben die Bläserarrangements, die immer auch kurz nach Jazz oder auch moderner Klassik klingen, dieser Scheibe, die trotzdem unbestreitbar ein Pop-Abum ist, können als stilprägend betrachtet werden, denn sie sollen Al Kooper und Jim Fielder als zur Inspiration gedient haben, „Blood, Sweat and Tears“ um eine Bläsersektion zu erweitern und dann mit Hilfe von Guercio zu Weltruhm zu gelangen. Auch wenn ich das zu seiner Zeit ebenfalls recht erfolglose Blood, Sweat & Tears-Debüt mit Al Kooper noch für eine Ecke besser halte, ist „Time & Charges“ ein großartiges Album; die Bläserarrangements sind vielleicht nicht so abwechslungsreich wie die bei „Child is Father to the man“, was daran liegen mag, dass Guercio sich einer Orchesterbläsersektion bediente, während bei Blood, Sweat & Tears Jazzmusiker am Werk waren, die durch Beherrschung mehrerer Instrumente auch noch flexibler waren, aber einen Titel wie „Pitied be the Dragonhunter“ mit diesem göttlichen Harmoniegesang hat das Blood, Sweat & Tears-Debüt nicht zu bieten.

Und neben dieser Übernummer und den Hits  „Don’t you care“ und „Mercy, Mercy, Mercy“ (einem Cannonball Adderley-Cover) enthält „Time & Charges“ mit dem Beatles-Cover „I’ll be back“ und „Why don’t you love me“ weitere Ohrwürmer; „You are gone“ begeistert mich mit dissonanten Bläsern, sowie Geigen und Flöten und der Abschluss der Scheibe, „Foreign Policy“, ist eine geradezu progressive, politisch angehauchte Nummer, die mit Vibraphon, einem JFK-Sample und einem luftigen und doch dramatischen Arrangement aufwartet. Ausfälle gibt es auf dem Album keinen, auch wenn die Novelty-Nummer „Married life“ heute vielleicht ein bisschen albern wirkt, aber zu der Zeit hatten viele Bands solche Nummern im Programm.

Der Band gefiel die Rolle als schlichter Namensgeber aber ganz offensichtlich nicht sonderlich, auf dem Nachfolger „Portraits“ schrieben sie abgesehen von den beiden Hitsingles (beide erneut von Beisbier/Holvay) alle Titel selbst und auch musikalisch eroberten sie sich massive Anteile gegenüber den Bläsern zurück und wie oben bedreits erwähnt, führte dann eine Meinungsverschiedenheit über das Arrangement des Hits „Susan“ am Ende zu der Trennung. „Portraits“ ist beileibe kein schlechtes Album, aber viele gute Momente gehen auch hier auf Guercios Konto, auch wenn der Opener „C’mon Home“ mit einem ganz ordentlichen Gitarrensolo aufwartet und „I love all of the Girls“ ebenfalls ein Hit hätte werden können.

Interessante Leseergänzung zu Beisbier/Holvay:
http://www.rblandmark.com/News/Articles/11-6-2012/Brookfield-native-Jim-Holvay,-hit-songwriter,-headed-to-LTHS-Hall-of-Fame/